Künstliche Intelligenz im Lernkontext

Manfred Kaderli
LerNetz Blog
Published in
6 min readFeb 8, 2024

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Der Einsatz von künstlicher Intelligenz im Bildungsbereich beschäftigt uns seit geraumer Zeit. Nach einigen Diskussionen und Abwägungen im Team teilen wir in diesem Beitrag unsere aktuellen Überlegungen und unsere Position, die uns letztendlich wieder zu den wesentlichen Aspekten des Lernens zurückführt.

KI beschäftigt uns schon länger, hier am LerNetz Live 2023
Foto: Jana Laux

In diesem Blogartikel von 2018 haben wir uns bereits mit künstlicher Intelligenz auseinandergesetzt — damals im Zusammenhang mit Chatbots und Lernen. In den vergangenen Jahren ist die Frage rund um KI im Lernkontext vielfältiger geworden. Wir sehen zahlreiche Möglichkeiten, wie KI im Lernkontext sinnvoll eingesetzt werden kann. Gleichzeitig sind wir fest davon überzeugt, dass wir uns bei der Gestaltung von Lernerfahrungen immer bewusst sein müssen, was Lernen bedeutet.

KI im Lernkontext: Führt sie uns zu den wesentlichen Aspekten des Lernens zurück?
Illustration: Christoph Frei

Wie KI das Lernen fördern kann

Aus unserer Sicht ist es unbestritten, dass KI in einem Lernkontext einen Mehrwert bieten kann. Insbesondere dann, wenn KI-Hilfsmittel eingesetzt werden, um Anregungen zu geben, andere Blickwinkel einzunehmen oder die Lernenden herauszufordern, den Lernprozess fortzusetzen. Nachfolgend einige Beispiele für Bereiche, in denen KI bereits heute hilfreich sein kann:

  • Üben: Anbieten von Vertiefungsaufgaben, die dem Lernfortschritt angepasst sind
  • Feedback und Korrekturen: Wenn diese unmittelbar erfolgen und eine Einordnung bieten
  • Lösungswege: Schrittweise Darstellung eines Weges, um das fehlende «Puzzlestück» zu finden — beispielsweise die Auflösung einer mathematischen Formel
  • Sortieren: Eventuell auch nach verschiedenen Kriterien, um Möglichkeiten aufzuzeigen
  • Kommunikation mit Avataren: Zum einfacheren Erlernen von Sprachen oder zum Üben eines Bewerbungsgesprächs — also um ein «Gegenüber» zu haben, wenn es sonst keines gibt
  • Zugänglichkeit: Um das Lernangebot möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen, beispielsweise durch das Generieren von Audio aus Text oder die Textbeschreibung eines Bildes
KI bietet im Lernkontext einen Mehrwert.
Foto: Kaya Djakou am Zukunftstag bei der LerNetz AG

Risiken bei der Nutzung von KI im Lernkontext

Bevor Lehrende und Lernende KI-Hilfsmittel nutzen, sollten sie unbedingt wissen, was diese zu leisten vermögen und wo deren Grenzen liegen. Die kritische Prüfung der Resultate ist nach heutigem Stand unerlässlich, um nur ein Beispiel zu nennen. Ob Chat GPT, DALL·E oder Deepl — die aktuell viel diskutierten Hilfsmittel wurden für konkrete Anwendungsprobleme entwickelt, ChatGPT als Sprachmodell, DALL·E für die Bildgenerierung oder Deepl für Übersetzungen. Wir können diese KI-Hilfsmittel auch als leistungsfähige datenbasierte Systeme bezeichnen. Sie werten enorme Datenmengen aus und Erzeugen auf dieser Grundlage datenbasierte Vorhersagen, datenbasierte Wahrnehmungen oder treffen datenbasierte Entscheidungen. Ihre Lösungen sind so gut wie die zugrunde liegenden Daten. Mustererkennung und verständliche Darstellung stehen im Vordergrund, aber sie müssen nicht alle Faktoren abwägen, um komplexe Situationen zu analysieren. Nicht zuletzt besteht die Gefahr, dass KI-Systeme, wenn sie nicht sorgfältig entwickelt und überwacht werden, bestehende Vorurteile widerspiegeln und verstärken.

KI-Hilfsmittel besitzen keine eigene Intelligenz, weshalb eben alles geprüft werden muss. Wer solche Hilfsmittel heute im Bildungswesen nutzt, sollte vor allem bei den folgenden Themen genauer hinschauen.

  • Datenschutz
    Wir wissen meist nicht, was mit Informationen, die wir den KI-Hilfsmitteln zur Verfügung stellen, geschieht. Darum empfehlen wir, die Eingabe von sensiblen und persönlichen Daten in ein KI-Hilfsmittel zu unterlassen.
  • Lernprozess
    KI-Hilfsmittel können das Lernen auch verhindern. Dem Lernprozess muss deshalb mehr Beachtung geschenkt werden. Wenn Lehrpersonen nur auf das Resultat schauen, ist es leicht möglich, dass im entscheidenden Prozess gar nichts gelernt wird. Der Lernprozess findet nicht statt, wenn die Aufgabe von der KI erledigt wird — und darin sind KI-Hilfsmittel meist sehr gut. Deshalb ist es wichtig, Aufgaben so zu gestalten, dass Hilfsmittel das Lernen fördern und nicht verhindern. Nicht nur Lernende sondern auch Lehrende müssen die KI-Hilfsmittel kennen, um den Lernprozess entsprechend zu gestalten.
  • Transparenz und Quellenangaben
    Wir sind der Meinung, dass Beiträge, Inhalte oder Resultate, die mithilfe von KI-Hilfsmitteln erstellt wurden, zwingend als solche gekennzeichnet werden sollten.
KI soll die Lern- und Lehrprozesse keinesfalls ersetzen.
Foto: Kaya Djakou am Zukunftstag bei der LerNetz AG

KI mit eigener Intelligenz im Bildungswesen?

Es wird bereits daran geforscht, wie KI eine eigene Intelligenz und ein Bewusstsein entwickeln kann. Im Gegensatz zu den oben erwähnten KI-Hilfsmitteln ist diese KI dann keine «schwache» sondern eine «starke» KI. Wir plädieren dafür, KI immer nur als Hilfsmittel zu verstehen und einzusetzen. KI soll die Lern- und Lehrprozesse keinesfalls ersetzen, geschweige den Lehrenden oder Lernenden Entscheidungen abnehmen, weder in Bezug auf die Inhalte, die Menschen lernen, noch auf die Art, wie sie diese Inhalte lernen.

Im Lernprozess steht der Mensch im Zentrum

Mit unserer langjährigen Expertise in Mediendidaktik in der Grund-, Aus- und Weiterbildung sehen wir uns als Verfechter eines wirkungsvollen Lernprozesses. Dabei stellen wir den Menschen ins Zentrum, denn:

  • Jede Person muss ihre Individualität entwickeln können.
    Unsere Gesellschaft braucht Menschen, die kritisch denken, selbstbestimmt handeln, zusammenarbeiten können, Folgebewusstsein entwickeln und reflektieren. Dieser Kompetenzerwerb muss gefördert, nicht durch einen Algorithmus verhindert werden. Lernende sollen deshalb aktiv in den Prozess der Auswahl ihrer Lerninhalte einbezogen werden.
  • Wahlfreiheit erhöht die Lern-Motivation.
    Wenn Lernende selbst die Wahl haben, was und vor allem, warum sie etwas lernen, steigt ihre Motivation zum Lernen erheblich. Darum ist es wichtig, dass Lernende einen Sinn in ihrem Lernvorhaben sehen.
  • Es braucht ein gewisses Mass an «Orientierungswissen» (Faktenwissen in klaren Zusammenhängen).
    Ohne umfassendes Grundwissen wird keine Schülerin und kein Schüler eine beliebige Quelle oder die Ausgabe einer KI auf ihre Glaubwürdigkeit überprüfen oder Newsmeldungen hinsichtlich des weltanschaulichen Kontextes der jeweiligen Publikation kritisch bewerten können.
  • Menschliche Interaktion im Lernprozess ist essenziell für die soziale und emotionale Entwicklung der Lernenden.
    Die Hattie-Metastudie zeigt deutlich, dass die besten Lerneffekte zwischen Menschen erreicht werden, auch wenn in dieser Studie KI noch nicht in genügendem Masse berücksichtigt ist.
  • Glaubwürdigkeit ist in einem Lernprozess wichtig.
    Neben dem Wissen spielen emotionale Intelligenz, Empathie und Intuition bedeutende Rollen. Menschen können zudem Verantwortung für ihre Entscheidungen und Handlungen übernehmen. Alles wesentliche Faktoren, die Vertrauen und damit auch Glaubwürdigkeit schaffen.
  • Interdisziplinäre Teams fördern Erkenntnisgewinnung.
    Wenn Lernangebote von Menschen erstellt werden und dabei in einem interdisziplinären Team verschiedene Perspektiven und Sichtweisen einfliessen, ist bereits die Erstellung des Lernangebotes für sich gesehen ein Lernanlass. Dabei entstehen häufig auch Weiterentwicklungen, neue Sichtweisen, neue Möglichkeiten und neue Erkenntnisse. Nicht zu vergessen, dass es für viele Lehrende sehr sinnstiftend ist, ihr Wissen weiterzugeben.

Neben all diesen Gründen spricht auch der enorme Aufwand dagegen, einer KI ein ganzes Team-Setting beizubringen. Erst wenn die KI die Hintergründe, Ziele und Absichten des ganzen Teams kennt, wie dieses arbeitet, wer was beisteuert und was vorhanden ist bzw. fehlt, um effektiv arbeiten zu können, wäre eine KI in der Lage, eine vernünftige Entscheidung zu treffen. Verwenden wir unsere Energie besser, um die Kunst der Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten, Hintergründen und Herangehensweisen zu praktizieren.

Im Lernprozess steht der Mensch im Zentrum
Foto: Kaya Djakou am Zukunftstag bei der LerNetz AG

Grenzen der KI erkennen und ihre Vorteile zum Nutzen der Menschen einsetzen

Insgesamt bietet der Einsatz von künstlicher Intelligenz im Bildungsbereich bereits heute vielversprechende Möglichkeiten — und wird in Zukunft wohl noch viel mehr bieten. Nutzen wir doch diese Möglichkeiten, um das Lernen ansprechender zu gestalten und auf das Wesentliche zu fokussieren. Gleichzeitig sollten wir die Bedeutung der menschlichen Interaktion für den Kompetenzerwerb ins Zentrum rücken. Die Förderung von kritischem Denken, Selbstbestimmung und Kollaborationsfähigkeit sollte eine menschliche Aufgabe bleiben, weil Menschen diese Fähigkeiten nur entwickeln können, wenn sie auch herausgefordert werden. Der Schlüssel liegt darin, die Vorteile der KI zu nutzen und dabei ihre Grenzen zu erkennen und zu respektieren. Jenseits dieser Grenzen sind Lernen und Kompetenzerwerb eingeschränkt, wenn nicht schlicht unmöglich. Lasst uns deshalb unsere wertvolle Zeit in die Menschen und ihre Ausbildung investieren, denn die KI kann uns das Denken nicht abnehmen.

Nutzen wir doch die Möglichkeiten der KI, um das Lernen ansprechender zu gestalten und auf das Wesentliche zu fokussieren.
Foto: Jana Laux an den Teamtagen der LerNetz AG

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